Kultur Österreich, Deutschland, 10.01

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Farbigkeit besticht, ohne dass sie den
Blick auf den Einzelnen und sein
Schicksal ausschließt. Thitz' Bilder
sind damit auch eine Hommage an ein
neues Jahrhundert, und sie verkörpern
vehement den Glauben an eine ge-
meinsame Zukunft. Dabei verschließen
sie sich nicht den traurigen Gesich-
tern, denen man immer wieder in den
großen Städtebildern in die Augen
sieht. Manche mögen sie ein wenig an
die stummen Gesichter aus dem Kos-
mos des Adolf Wölffli erinnern, dessen
regungslose Gestalten ihrem Betrach-
ter stets die Frage stellen, wer hier ei-
gentlich der Betroffene jst. Dennoch,
was den Arbeiten von Thitz zutiefst ei-
gen ist, ihr Wesen von Grund be-
stimmt, ist ihre optimistische Weit-
sicht. Die Bejahung der Realität und
die sich hieraus entwickelnde Mög-
lichkeit, auch die Zwischentöne des
Lebens zu erkennen; dies ist das Be-
sondere und Zukunftsweisende der
Thitzschen Welt. Jenes unmittelbar
sich mitteilende positive Element darf
nicht einem kritiklosen Positivismus
gleichgesetzt werden. Thitz' Weitsicht
ist vielmehr entscheidend geprägt
durch eine kritisch-intellektuelle Sicht
auf die eigene europäische Kultur und
ihre Tradjtion, die gleichsam von den
zusammengetragenen Tüten gespie-
gelt wird. Es versteht sich von selbst,
dass die zahlreichen langen und in-
tensiven Reisen den Künstler nach-
haltig geprägt haben. Aufenthalte in In-
dien oder auch Mexiko haben ihm jene
Gesamtentwurfes. Der Künstler ist da-
bei, seinen eigenen Kosmos zu er-
schaffen. Es entstehen, neben den ge-
nannten bemalten Papierarbeiten, al-
lerlei Gebrauchsgegenstände des täg-
lichen Lebens. Mit großer kreativer
Kraft gestaltet er zum Beispiel eine al-
te runde Dose, die einst rote Schuh-
creme vor dem Austrocknen schützte.
Neben der handelsüblichen Aufschrift
"Kavalier" schmücken heute die bei-
den unterschiedlichen Schuhe des
Künstlers den Deckel und machen die
Dose zu einem sehr persönlichen Ob-
jekt. Öffnet man sie, so blickt man auf
einen Herren mit Hut und Stock sowie
der Inschrift "Beautiful but unhappy".
Bedeutet äußere Schönheit vielleicht
doch nicht alles, so mag Thitz uns
fragen?
Es ist der Blick auf das Detail, der hier
perfektioniert wird und der den Künst-
ler auszeichnet. Thitz' Eingreifen in un-
sere Alltagswelt muss als Gesamt-
konzept verstanden werden. Kein Ge-
genstand ist ihm dabei zu banal oder
zu unscheinbar und nichts entgeht
seinem kreativen Schaffensdrang. Er
gestaltet Tische, Lampen oder auch
schon einmal den typischen, mehr-
stöckigen Blumentisch der 5Oer Jahre.
Er dreht seine eigenen Filme, die in
ernem eigens umgebauten "halbauto-
matischen" Tisch mit versenkbarem
Monitor abgespielt werden, oder es
entstehen die großen Tütenhäuser, die
begehbar sind und damit eine äußere
Hülle für Thitz' eigene Welt darstellen.
Auch die Fahrt mit seinem geräumi-
gen Wagen wird so zum künstlerischen
Erlebnis. Man Entdeckt Reiseerinnerun-
gen hierin ebenso, wie die eigenen Zeich-
nungen, die das Auto friesartig umziehen,
der zu einer Weltkugel um wandelte Stern,
in dessen Zentrum nun eine kleine Thitz-
Figur baumelt oder auch das Efeu, das
ironisch die Wohnzimmeratmosphäre des
Nachkriegskäfers persifliert.
Nur inmitten des gesamten Thitz-Kosmos
begreift man den umfassenden Anspruch
des Künstlers vollständig. Bei alldem ist
die Welt von Thitz eine bunte, farbenfro-
he und fröhliche Welt. Sie zu betreten
macht Freude, erleichtert und macht frei
für einen neuen Blick, nicht zuletzt auf
die Zwischentöne und Randbereiche un-
serer Wirklichkeit. Sie geht über die sub-
jektive Erfahrung hinaus und schafft Chiff-
ren von unserer Wirklichkeit. Damit greift
die Thitz-Welt endgültig ein in unser Le-
ben, nimmt von uns und unserer Wahr-
nehmung Besitz und schenkt uns einen
ganz neuen, vitalen und sensiblen Blick
auf unsere Realität. Thitz' Witz und Iro-
nie erleichtert uns, an ein künstlerisches
Konzept zu glauben, das längst totge-
sagt schien.


                                     Dr. Stephan Mann
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Dr. Stephan Mann ist Leiter des Museum
Goch und hat den vorliegenden Aufsatz
ursprünglich für den Katalog "Thitz-Tü-
tenkatalog", Goch/ Frankfurt/Berlin 1999
geschrieben
Gelassenheit geschenkt, mit
seiner eigenen europäischen
Tradition kritisch und frei um-
zugehen. Aus dieser Frische
heraus sind seine Bilder in
der Lage, Fragen zu stellen
und Denkanstöße zu geben,
ohne den pädagogischen Zei-
gefinger zu erheben. Liest
man die Bilder mit der gefor-
derten Ernsthaftigkeit, sieht
man in eine Welt voller Wider-
sprüche, man blickt in die
traurigen Augen eines einsa-
men Menschen oder in die
leere Betriebsamkeit einer
Stadt. Gleichzeitig aber
schafft Thitz mit seinem wit-
zigen ironischen Unterton eine
Distanz und belässt die
Entscheidung über eine mög-
liche Betroffenheit dem Be-
trachter selbst. Und so weicht
der erste, meist unruhige Ge-
samteindruck der Bilder, nicht
zuletzt hervorgerufen durch die
Verwendung heller und greller
Farben, einem stillen, ja bis-
weilen melancholischen Er-
kennen. Es entspricht dem
konsequenten Denken des
Künstlers, sich nicht nur im
Medium der Malerei auszu-
drücken. Lässt man sich ein-
mal auf den Künstler ein, um-
gibt uns die "Thitz-Welt" völlig,
und wir sind Teil eines konzep-
tionellen




Mexico City - Rinde más, 2000, Fotopigment-
druck, Acryl, Tüten auf Leinwand,
150 x 200 cm


 THITZ

 Jahrgang 1962; Studium der Malerei
 in Stuttgart und Barcelona; malt seit
 1985 Tütenbilder; Einzelausstellungen
 unter anderem in Barcelona, Stuttgart,
 Freiburg, Ulm, Frankfu Harnburg, Leip-
 zig, Berlin und New York; Riesentüten-
 Installation be der Frankfurter Buch-
 messe 1991 dreht gemeinsam mit To-
 bias Sandberger Kurzspielfilme.
 Hierzulande fiel Thitz den Besuchern
 Ende Juli irn Rahmen der I. "art
 bodensee" irn Dornbirner Messegelän-
 de auf, wo seine Werke nicht nur "gut
 aufgenommen, sondern auch gut ge-
 kauft" wurden, so Galerist Michael
 Oess, in dessen Galerie in Konstanz
 vom 26.10. bis 30.11 eine Ausstellung
 mit "Tütenbildern" von Thitz zu sehen
 ist.