Waiblinger
Kreiszeitung Kultur 14.03.2001 Da geht dir doch glatt die Tüte auf Wie die Kunst Witz ins mancherorts staubtrockene Museum bringt dank "Tüten-Thitz" |
Von unserer Mitarbeiterin Yvonne Weirauch |
Waiblingen. Was hat ein Gebiss
und ein Kondom gemeinsam. Beide hängen eingetütet im Museum der
Stadt Waiblingen, das jetzt Zehnjähriges Schaustück-Dasein feiert.
Dazu rückte ein bunter Vogel der Kunstwelt an. Thitz aus Schorndorf,
der "Tüten-Thitz". Was nicht alles in die Tüte kommt.
Auch kamen nicht wenige der vielen Besucher, die ihren eigenen Beitrag zur
Kunst im Museum sehen wollten. Denn der 1962 in Frankfurt geborene Künstler
Thitz hatte kleine Tütchen in Umlauf gebracht, die jeder Waiblinger
Haushalt beliebig füllen, bemalen oder gestalten konnte. Im Museum
abgegeben und am Eingang an der großen Wand präsentiert, sind
die Tüten Teil der Ausstellung. In den vergangenen zehn Jahren hat
sich das Museum der Stadt Waiblingen zu einem regionalen Treffpunkt für
Geschichts- und Kunstliebhaber entwickelt. Für den Museumsleiter Helmut
Herbst ist die Zusammenarbeit mit dem Maler Thitz mit das beste Beispiel,
wie er Museumsarbeit versteht: "Die interdisziplinäre Interpretation
muss gefördert, der Baubestand muss erhalten sowie konserviert und
die Öffentlichkeitsarbeit verstärkt werden." In der Tat öffnete
sich mit der Tüten-Aktion die Institution Museum, die andernorts eben
doch zu gern als hermetische Geschichtsaufbewahrungsstätte betrieben
wird. Herbst durfte sich so betrachtet und mit Blick aufs Tüten-Experiment
auch selbst loben: "Ich habe selten so eine witzige und doch hintersinnige
Auseinandersetzung mit alten Dingen gesehen." Humor muss richtig hart
erarbeitet werden, sagt der Künstler. So wie bei den Clowns Es würde
dem Besucher nicht nur ein Licht aufgehen, "nein, sogar eine Tüte".
Fürwahr hatten sich die Waiblinger Bürgerinnen und Bürger
einiges einfallen lassen: hier die Tüte mit Kondomen und Zigaretten,
da ein gemaltes Bild. Die einen tüteten ihr Yo-Yo ein, andere trennten
sich von ihrem Verbundpass. Wieder andere machten aus dem Plastiktütchen
ein Überlebenspaket mit Unterhose, Zahnbürste und der Nummer mit
dem Pizzaservice. "Das Gebiss sticht besonders ins Auge, leider ist's
kein echtes", so eine Waiblingerin. Nach der Ausstellung werden alle
Tüten sorgfältig verpackt. Die notariell versiegelte Kiste wird
erst nach 40 Jahren wieder geöffnet. Ihr Inhalt soll dann zum 50. Jubiläum
des Museums einen repräsentativen Einblick in die Waiblinger Alltagskultur
2 001 geben. Aber da gibt's ja nicht nur den Ideengeber, sondern auch den
Künstler selbst zu loben. Wahrlich geschmackvoll im ganzen Haus verteilt,
entdeckt der Suchende kleine versteckte Dinge sowie aussagekräftige
große Werke Fast sind es anbetungswürdige Objekte. Kult im Museum.
Da findet sich die "Fishermans-Friend-Tüte" neben einer Wandkarte
mit Menschlein drauf, die aber kommen in der Trash-Verarbeitung durch den
Herrn Künstler als Pflanzen daher. Vor dem Gebilde "Sydney"
blickt ein älterer Herr auf die Figuren, die auf Wolkenkratzern tanzen:
"Scho faszinierend, was der so macht." Die Augen, die ihn aus
den Gebäuden anblinzeln, scheinen ihm regelrecht zuzuzwinkern. Der
Künstler stilisiert sich selber gern als laufender Gag. Das zeugt von
Selbstironie. Er geht nie außer Haus ohne seine farbigen Schuhe, rechts
Rot, links Gelb. Schelmisch gesteht er denn ein: "Sicherlich hat' s
Spaß gemacht. Kunst ist für mich kein Medium, das man an die
Wand hängt, sondern ein Anreiz zu kommunizieren." Er fand es "sehr
spannend", sich mit den Dingen im Museum auseinander zusetzen. Schließlich
sei das ja Geschichte. Thitz, mit bürgerlichem Namen Matthias Schemel,
ist einer der wenigen aus der jüngeren Remstal-Szene, die draußen
in der Welt gefragt sind. Er kann voll und ganz von der Kunst leben, hat
Galerien in Frankfurt und Berlin, die für ihn arbeiten. Er stellt in
New York aus und einstens bezahlte der Akademische Austauschdienst dem Sonderborg-Schüler
das Stipendium für einen Spanien-Aufenthalt. Einer, der es so weit
gebracht hat, kann gut auf spaßig machen. Auch wenn er sagt, dass
Humor richtig erarbeitet werden muss. Aber das sagen auch die Clowns. Die
Ausstellung im Stadtmuseum ist bis zum 1.Juli zu sehen. Geöffnet ist das Waiblinger Stadtmuseum in der Weingärtner Vorstadt 20, Dienstag bis Sonntag von 11 bis 13 Uhr und von 15 bis 17 Uhr. |